was auf die Ohren

Jetzt & Hier 15. Januar 2022

Geimpft, inzwischen schon dreimal, aber das hilft natürlich nicht gegen die Mittelohrentzündung, die mich seit Monaten mal mehr, mal weniger begleitet, aktuell und akut eher mehr, sogar deutlich. da hilft nicht einmal die diensthabende Ärztin in der Ambulanz der HNO-Klinik Tübingen,
‚Nein, Maske auflassen!‘,
der scheiß Gummizug tut weh.
‚Sie haben eine Mittelohrentzündung!‘
echt jetzt? Wer hätte das gedacht? ich kann nicht mal was essen, zumindest nichts was gekaut werden müsste, es tut scheiße weh.
‚Wenn das am Montag nicht besser ist, gehen Sie zu ihrem HNO!‘
Ja nee, is klar. Vielleicht bring ich nächstes Mal ’ne Kaffeetasse mit meinem Namen drauf in die Praxis meines HNO…
Auf dem Heimweg geh ich noch schnell einkaufen, weiches Zeug, nichts was weh tut. An der Kasse ermahnt mich die Kassiererin dann, dass ich nächstes Mal bitte eine ffp2-Maske tragen soll, und tatsächlich: an den Eingangstüren, die an mir vorbei, und durch die ich hindurch gleite, steht jetzt: ‚Zutritt nur mit ffp2″-Maske‘
und ich merke, wie mich der politische Konsens schlagartig verlässt.
Fickt Euch!

ich gehe Leuten gerade noch mehr aus dem Weg als sonst, nicht wegen dem Corona-Gedöns, sondern weil ich mich selbst neu definieren muss und will, aber abgesehen von meinen Motiven: die Menschen mit denen ich möglicherweise Infektionsrelevantem Kontakt habe kann ich an einer Hand abzählen.
ich bin dreifach geimpft, aber das schützt ja nicht vor Infektion. oder davor, andere anzustecken. wenn ich’s recht verstanden habe, dann darf ich mit drei Impfungen auf öffentlichen Toiletten pissen ohne Wischi-Waschi-Test mit 24-Stunden-Zertifikat,  voraus gesetzt ich bin der einzige auf der Toilette. Darf auch gern ein Test sein, der auf die Omikron-Variante gar nicht anspricht. Für’s Scheißen braucht’s dann schon einen PCR-Test, die Verwendung von Klopapier setzt eine chirurgische Händedesinfektion voraus (vorher!) und sollte außer mir noch jemand im Raum sein, so habe ich diesem unaufgefordert mein Handy vorzulegen, mit geöffneter CovPass-App, sowie meinem Personalausweis, um zu beweisen, dass ich ich bin.
Das örtliche Schwimmbad akzeptiert übrigens kein Impfbuch mehr als Nachweis der Impfung, sondern nur noch den QR-Code der CovPass-App, weil O-Ton: ‚Der Impfpass könnte ja gefälscht sein!‘
Das negative Testergebnis hingegen wird ausschließlich in schriftlicher Papierform akzeptiert, und nicht als QR-Code, wie er hier von vielen Teststationen ausgegeben wird, weil ‚Wir haben kein Gerät, um das auszulesen!‘.

Sieg Heil dem Arbeiter- und Bauernstaat. Vielleicht sollte ich demnächst den ganzen Scheiß laminiert im transparenten Brustbeutel mit mir herum tragen, sorgsam zentriert zwischen Nippeln und Bauchnabel und mit Rfid-Chip, falls mich der Assistent irgendeines Gehilfen kontrolliert und der nicht lesen, aber einen Scanner bedienen kann.
Als der ganze Scheiß anfing habe ich mich noch lustig gemacht über den Maskenzwang und erwogen mir einen Darth-Vader-Helm zuzulegen. Beim Verlassen des Supermarktes denke ich über eine ABEK-Vollmaske nach. Schützt wesentlich besser als ffp2 und kommuniziert, dass dieser Wahnsinn auch immer noch steigerungsfähig ist. Fraglich nur, ob Kassierinnen in Supermärkten und Schwimmbädern solcher Ironie zugänglich sind, vermutlich eher nicht. Wahrscheinlich würde man mich ankrähen, dass ich doch bitteschön eine ffp2 tragen solle, vielleicht noch flankiert mit dem Hinweis, dass es in diesen schweren Zeiten oberste moralische Pflicht sei, all die drei- und dann bald vierfach geimpften Mitmenschen zu schützen.

Ich hab übrigens nichts gegen das Impfen, Impfen ist ’ne coole Sache. Evidenzbasiert. Aber ich hab was gegen Gängelei. Gängelei ist nicht cool, sondern Angstbasiert.
ich hätte mir diesen Helm kaufen sollen, als ich noch Geld hatte… andererseits: bißchen albern, vor allem ohne den ganzen anderen Darth-Vader-Schutzanzug. Aber vielleicht kauf ich mir einen langes schwarzes Tuch und binde mir so ein Tuareg-Gesichtsschutz. Den könnte ich dann überall tragen, wo ffp2 vorgegängelt wird. Hilft wahrscheinlich auch gegen Mittelohrentzündung.

je dunkler die Nacht

Jetzt & Hier 8. Januar 2022

ich bin 44, bald 45 Jahre alt und empfinde mich als gänzlich und vollkommen gescheitert. ich bin und lebe allein, nach wie vor, und sehe keine Möglichkeit das zufriedenstellend zu ändern, inzwischen gehen mir sogar schon Grund und Sinn dafür abhanden. Geworden ist aus mir nichts, gemessen an allgemein gültigen Maßstäben, und ich finde das auch nicht weiter schlimm. Das Geschehen in unser Welt, insbesondere den Arbeitswelten ist durch und durch verlogen. Darin zu reüssieren kann aber muss nicht verdienstvoll sein und Ausnahmen bestätigen auch hier eher die Regel als umgekehrt.
Als schlimm empfinde ich es eher meinen eigenen Träumen nicht näher gekommen zu sein. Wenn ich beruflich etwas wirklich gewollt hätte, dann Schriftsteller zu werden. Tatsächlich aber habe ich nicht ein Buch geschrieben, nicht ein einziges. All die tollen Ideen… sie vermodern in mir.
Unter anderem ist das Frage der Disziplin, bzw meinem eklatanten Mangel daran.
ich krieg’s nicht auf die Reihe, egal was.
vom Kiffen konnte ich mich befreien, mehr aber auch nicht. Immer noch rauche ich und immer noch bin ich zuckersüchtig, bin tatsächlich fett und faul und zunehmend mit Symptomen und Schwächen konfrontiert, nicht nur körperlich.
mir fehlt der Wille zum Leben und ich wüsste auch nichts mehr, was mich dazu noch motivieren sollte, außer dem alkoholisierten Dahinsiechen meines Vaters. Ich will in Würde sterben, und mit geklärtem Geist.
Alles in allem aber bin ich meinem Vater in seinem Scheitern sehr viel ähnlicher als mir lieb ist oder auch nur sein könnte.
Nun bin selbst Vater, und mein folgenschwerstes Scheitern begehe ich durch mein Selbstversagen an meinem Kind. Das wurde mir in den vergangenen zwei Wochen immer deutlicher. Sie erbt alle Schwierigkeiten, die ich nicht zu bewältigen vermag.
Und da liegt sie neben mir, meine kleine Tochter, schlafend, süss sieht sie aus mit ihrem zarten Gesichtchen, mein geliebtes Kind, und ich bin ihr so ein Scheiß-Vater, und ich muss an meinen eigenen Vater denken, den ich nie als Scheiß-Vater bezeichnen würde oder empfunden habe, aber dessen Ambivalenz zwischen großem Potential und völlig bescheuertem Handeln bei mir doch eine große Enttäuschung hinterlassen hat.
Werde ich ihr eine ähnliche Enttäuschung sein?
Das Einzige, was mein Vater mir hinterließ sind seine Bücher, zwei Kisten im weitesten Sinn spirituelle Literatur.
Die Forderung und der Anspruch, der sich aus diesen Texten ergibt ist enorm. Er überstieg nicht nur bei weitem die Möglichkeiten und Fähigkeiten meines Vaters, sondern oft genug auch die der Autoren, die einen Weg beschrieben, auf dem sie selbst scheiterten.
Das wird mir vielleicht nicht anders ergehen, aber was bedeutet ein Weg überhaupt noch, wenn man nicht bereit ist, ihn zu beschreiten?
und ganz ehrlich: ich wüsste kaum einen anderen Sinn mehr für mein Leben als genau das zu tun.
ein umfassendes Scheitern mag nicht unbedingt optimale Voraussetzung dafür sein. in den spirituellen Kreisen, die ich kennen gelernt habe kann man kaum einen Stein werfen, ohne jemanden zu treffen, der spirituelles By-passing betreibt, sich also sein Scheitern spirituell schön biegt.
Andererseits: ein Weg ist ein Weg ist ein Weg, und dass ein Weg auch ein weg sein kann? Geschenkt. Irgendwo werde ich schon sein, und Irgendwann auch wieder ins Hier & Jetzt kommen.