ehrlich

Also 11. September 2020

eine der Fragen die man auf Finya beantworten kann, um anderen einen Eindruck davon zu vermitteln, wer man ist, lautet:

Sie Sie tendenziell ehrlich?

wie würde ein Betrüger diese Frage beantworten, ein notorischer Lügner?

gar nicht mal wenige Frauen beantworten diese Frage mit einem ‚Ja, immer‘.
ich weiß nicht wie Männer darauf antworten; ich habe kein romantisches Interesse an Männern, aber ich bin mir ziemlich sicher, noch nie einem wirklich ehrlichen Menschen begegnet zu sein.

müsste ein wirklich und wahrhaftig ehrlicher Mensch nicht aus sich selbst heraus leuchten, unvergleichlich leuchten?
ein solcher Mensch, stelle ich ihn mir vor, müsste sein wie Jesus, in der Gegenwart ruhend mit der Kraft und Präsenz eines ganzen Lebens, unbeirrt unbeirrend, selbst. Ohne Maske. und ohne Angst.

obwohl seit jeher eher einzelgängerisch veranlagt bin ich im Laufe meines Lebens vielen Menschen begegnet. weniger Menschen vermutlich als jemand der extrovertiert lebt oder sich zu Gruppen hin orientiert, aber vielleicht hat das Singuläre in meinem Wesen meinen Begegnungen auch etwas mehr Tiefe oder einfach nur mehr subjektive Bedeutung gegeben.

und so oft wurde und werde ich belogen.

die Frage nach meiner eigenen Ehrlichkeit mal hinten angestellt; ich finde das gar nicht unbedingt so dramatisch belogen zu werden, und ich denke sogar in den meisten Fällen liegt dem keine böse Absicht zugrunde.
Manchmal geht es ja auch nur darum jemanden nicht zu verletzen. Noch öfters vielleicht geht es auch darum, sich keine Blöße geben zu wollen. 
Und gar nicht so selten liegt der Lüge eigentlich eine Selbsttäuschung zugrunde.

‚ich bin immer ehrlich‘ – was für eine Aussage ist das eigentlich?

bedeutet das, keine Lügen zu verwenden um einem Bedürfnis Geltung und Befriedigung zu verschaffen, niemals?
bedeutet das liebevolle Schonungslosigkeit in jeder Hinsicht?

ich war mal verheiratet, Ha! das ist gelogen! ich bin es immer noch! Trotz Verzicht auf Versorgungsausgleich, beiderseitig zwar, aber in diesem Fall bin ich es, der rechnerisch zurück steckt, hat das Familiengericht immer noch keinen Scheidungstermin angesetzt. Dabei sind jetzt wirklich alle Fragen geklärt.

Jedenfalls gab es mal eine Zeit, in der ich verheiratet war (was eine geschickte Lüge!). Nicht glücklich, aber hoffend auf Glück, also ich zumindest. Ich hoffte auf Partnerschafts- und Familienglück. Tatsächlich aber dröhnte ich mir etwa alle zwei Monate für ein bis zwei Wochen die Birne mit Gras zu, und zwar höchst heimlich und klandestin. Meine Frau mochte das nicht, sie hasste es. Sofern sie es erlebte/ erfuhr, aber das tat sie ja nicht, denn ich machte das ja heimlich. 
und zumindest damals konnte ich das auch wirklich gut verbergen.

Den Beziehungstatbestand könnte man als ‚verschweigen‘ bezeichnen. Gemeinhin gilt das als Lügen, weil es ja um Relevanz geht.

Ist Kiffen dasselbe wie in den Puff zu gehen?Ich persönlich finde: Nein.
speziell in meinem Fall hatte es zwar eine ähnliche Funktion, aber mir ist auch immer schon diese phonetische Inversion von ‚Kiffen‘ und ‚Ficken‘ aufgefallen. 
ich glaube übrigens fast, dass das noch keinem anderen aufgefallen ist, aber auch falls dem doch so sein sollte: für mich war das mein Weg eine unbefriedigende Sexualität auszuagieren, bzw zu betäuben. 

ich hab das damals auf diese Weise so mit mir selbst und alleine ausgemacht.
Andere Männer wären ins Bordell gegangen und hätten es mit einer Prostituierten ausgemacht. oder etwas anderes.

So oder so habe ich getan was ich getan habe und ich hielt das so lange für richtig, bis mir dämmerte, dass Substanzmissbrauch kein gangbarer Weg in eine erfüllende Liebesbeziehung sein kann. Die wollte ich aber mit meiner Frau erleben.

Preisfrage: Hätte ich das mit dem Kiffen einfach beenden und für mich behalten sollen? um dann mit klaren Kopf und zwar allein einen besseren Weg zu finden, für mich, für uns?
Fahrradkette…

entschlossen, einen besseren Weg zu finden, vertraute ich meiner Frau mein Geheimnis an. Wozu ist man denn verheiratet, wenn man nicht ehrlich sein kann/ darf zu und mit seinem Partner?

Die anschliessende Paartherapie half uns gar nicht, aber sie glättete die Wogen.
Und ließ mich mit einer mehr als nur fragwürdigen Erkenntnis zurück:

willst Du Deinen Partner nicht verlieren, dann verstecke Dein wahres Selbst so gut wie nur irgendwie denkbar und präsentiere stattdessen genau den Menschen, den Dein Partner haben will. Hast Du irgendwelche Probleme, dann mach das mit Dir selber aus, aber belaste nicht Deinen Partner damit.

Wie textete Michi Beck einst so schön?
‚ich dachte ich könnt’s schaffen bis zuletzt‘

es kann ja gar nicht abgegriffener klingen, aber hinterher ist man halt doch immer schlauer.

‚Sind Sie tendenziell ehrlich?‘

meine ehrliche Antwort: Nein, bin ich nicht.

aber ich wär’s gern.
da steckt so viel Kraft drin, in Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit.
und wie schön das erst sein muss in einer Beziehung, wenn man sich nicht mehr verstecken muss. wenn man sich zeigen kann, wie man wirklich ist: unperfekt. lebendig. verunsichert. wenn man vielleicht auch gerade einfach nicht weiß, wie es weiter geht, oder mehr Gefühle empfindet, als in eine Schublade passen. und wenn man trotzdem geliebt wird, oder vielleicht nicht unbedingt geliebt, aber zumindest mal so weit angenommen, dass man nicht verurteilt wird, für das was man fühlt und denkt.

Andererseits… was muss man tun, wer muss man sein, um nicht dafür verurteilt zu werden, zu sein wer man ist?
Jesus?
wohl eher nicht.

was will jemand wirklich zum Ausdruck bringen, wenn er/ sie behauptet immer ehrlich zu sein?

den Wunsch, es sein zu dürfen?
den Wunsch, der andere möge es sein?

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