zu intim?

Jetzt & Hier 27. September 2020

warum machst Du das?‘, fragte sie, ‚ich würde das nie tun! Das ist doch viel zu persönlich, viel zu intim!‘

ist es das?
zu persönlich, zu intim?
für wen?

ich erklärte ihr im weiteren Verlauf unseres Gespräches, dass das für mich schon deshalb keine Rolle spiele, weil es im Grunde eh keiner lese. Gewiss, der ein oder wohl eher die Andere wird es lesen, aber diese wenigen Menschen wissen mehr über mich, als diesen meinen Zeilen zu entnehmen wäre, vielleicht wissen sie mehr über mich als ich selbst.
und sie lesen schweigend, niemand sagt etwas dazu.

vielleicht wird sich das ändern, eines Tages. ich gehe sogar davon aus, aber ist es auch dann noch persönlich und intim, wenn es Jahre zurück liegt, wenn die Gesichter zu den Namen, die ich im Übrigen ja auch nicht nenne, schon vergessen sind?

ich bin einmal mit 40 Kg Marihuana und Haschisch 150 Km durch Deutschland gefahren. Das ist Jahre her, interessiert das noch jemanden? 

Nein. Genauer betrachtet interessieren wir uns für Dinge, die Jetzt eine Rolle spielen, und meist auch nur dann, wenn sie für uns selbst eine Rolle spielen.

Intimität ist etwas gegenwärtiges, nichts vergangenes, und der Aspekt des Persönlichen spielt auch eher dann eine Rolle, wenn wir fürchten, andere könnten entdecken, dass wir uns in einer Rolle verstecken, statt ganz derjenige zu sein, der wir zu sein vorgeben.
Allerdings weiß man das als halbwegs intelligenter Mensch auch so schon, und überraschender ist wohl eher inwiefern und wie weit sich Außendarstellung und (Innen)erleben unterscheiden, als dass sie es tun.

wozu sich also gerade dort verstecken, wo es ohnehin kaum jemanden interessiert?
und im Weiteren: wozu sich überhaupt verstecken?

im Beziehungsrahmen begegnet mir immer wieder der Begriff des ‚Vertrauens‘. ein schwieriger Begriff, was bedeutet er?

Bedeutet er, stets zu tun, was man sagt?Dritten nichts davon zu erzählen, was einem persönlich und intim ‚anvertraut‘ wurde?
oder bedeutet er, dieses persönliche und intime Wissen nicht gegen den anderen zu verwenden? den anderen damit zu manipulieren? zu zwingen?

Vermutlich spielen alle drei Aspekte bei ‚Vertrauen‘ eine Rolle, und noch vermutlicher leidet ‚Vertrauen‘ nicht an einer konkreten Verletzung eines solchen Agreements, sondern an der Verletzung des Rahmens dessen, was wir uns selbst vormachen, was wir als wahr und unumstößlich annehmen, obwohl wir es eigentlich besser wissen könnten oder sollten.

Ach wie schön wäre das, sich einem anderen Menschen ‚anvertrauen‘ zu können, gerade auch in all der Widersprüchlichkeit, die uns tatsächlich eher ausmacht, als das Selbstbild, das wir pflegen…

aber ich fürchte, ich schweife zu sehr ab.
Auch das hat seinen Grund, und wenn auch nicht ausformuliert, dürfte er doch offensichtlich sein, aber darum sollte es ja auch nicht gehen. Es sollte ja um die Frage auf die Antwort gehen, ob es nicht zu persönlich und intim ist, was ich hier schreibe, und offen gestanden:
die geringe Anzahl an Leser*innen war und ist nur eine Ausrede.
es spielt keine Rolle, wieviele Menschen das hier lesen, ob zwei oder zwei Millionen.

eher spielt es eine Rolle, wer das liest, aber auch das nur insofern, als dass die Inneren Reaktionen Energie bewegen, und das wiederum macht natürlich auch etwas mit mir als Verfasser, wobei sich das bei zwei schweigenden Lesern sehr in Grenzen hält.

weiter fragte sie, ob ich das nicht vernetzen wolle, um mehr Leser zu erreichen.

Nein, möchte ich nicht. Vielleicht mache ich das irgendwann einmal, aber mich erschreckt der Gedanke, mich zu einer öffentlichen Person zu beschneiden, um eine ‚Rolle zu spielen‘.

Dieser Aspekt des Bloggens wird wenig hinterfragt. Tatsächlich geht es inzwischen genau ums Gegenteil. 
Es geht um Traffic, SEO, möglichst viele Follower, ganz allgemein um ‚Erfolg‘, der auch möglichst monetisierbar sein muss.

um Inhalte geht es eher nicht. in der modernen Netzwelt ist Inhalt nur ein Aspekt. Da heißt es, man müsse seine Nische finden, und meist wird auch empfohlen, seine eigenen Artikel wieder zu verwenden.

Das Netz ist seltsam geworden. Und auch ein wenig langweilig.

Nun: ich habe diese Seite mit anderen Gedanken begonnen, und habe sie auch gar nicht endgültig ausformuliert.
ganz allgemein geht es mir um Kunst.
es wäre gelogen, behauptete ich, mir keinen Erfolg zu wünschen. es wäre toll, würden tausende Leser*innen das lesen, was ich hier schreibe, und es diskutieren. ich würde mich sehr geschätzt fühlen.
Allerdings entsteht daraus keine Kunst.
Und im Gegensatz zu den Heerscharen an Influencern will ich nicht darauf hinarbeiten mich von Bestätigung möglichst satt korrumpieren zu lassen.

ich brauchte eine ganze Weile um die richtige Antwort finden und formulieren zu können: 

ich will mein Leben schreiben und mein Schreiben leben.

zu intim?

😀

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