37,5

Scherben 13. Juli 2020

Der geneigten Leserin und dem geneigten Leser, denen Werk und Name ETA Hoffmanns ein Begriff sind, oder auch nicht, werden vielleicht wissen, oder auch nicht, dass ich mehrere Semester Angewandte Philosophie bei Prof. Dr. Guru Nadjist* studierte. Anlässlich dieses wunderschönen Montags, und einer kurzen Auseinandersetzung mit Quines Beiträgen zur Erkenntnistheorie, erinnere ich mich gern an meine erste Klausur in diesem Fach. Guru Nadjist stellte uns folgende Aufgabe:

formuliere 37,5 Bedeutungen des Satzes ‚ich liebe Dich‘.

mein Versuch:

  1. ich liebe Dich
  2. ich brauche Dich
  3. bitte sag, dass Du mich auch liebst
  4. ich will Sex mit Dir
  5. halt den Mund bitte
  6. überweise Deine Ersparnisse per Western Union an folgendes Konto
  7. ist nicht so schlimm
  8. das Essen war lecker
  9. es tut mir leid
  10. bitte geh nicht weg
  11. Du bist toll!
  12. nimm mich in den Arm
  13. pass auf Dich auf, bitte
  14. Du gehörst mir!
  15. ich gehöre Dir!
  16. Danke fürs Schlucken
  17. Danke für die Handtasche
  18. war nicht so gemeint
  19. ich will den Rest meines Lebens mit Dir zusammen sein
  20. ich bin verliebt in Dich
  21. komm bald zurück zu mir
  22. Bitte sei mir nicht böse
  23. tu was ich Dir sage
  24. sag mir, was ich tun soll
  25. der Sex mit Dir ist toll
  26. ich will ein Kind von/ mit Dir
  27. ich liebe mich
  28. Du bist schön!
  29. wir schaffen das
  30. ich vermisse Dich
  31. Danke für Dich
  32. wie sind wir nur in dieses Schlamassel geraten?
  33. ich nehme Dich an, so wie Du bist
  34. bitte schick mich nicht fort
  35. es ist alles okay
  36. wollen wir‘s nochmal probieren miteinander?
  37. Adieu, mach‘s gut

37,5. wie kann es eine halbe Bedeutung geben? was soll diese Frage? geht es dabei um den Dualismus von Subjekt und Objekt? Um Trennung?
wie kann ein Mensch, dem ich ‚ich liebe Dich‘ sage, Objekt sein?
müsste er nicht Subjekt sein?
muss man immer in Objekt und Subjekt teilen?
Könnten wir uns nicht darauf einigen, Menschen, oder vielleicht sogar alle Lebewesen als Subjekte zu bezeichnen, und nur Dinge und vielleicht auch Relationen Objekte zu nennen?
oder geht es darum, dass der Satz ‚ich liebe Dich‘ eh schon was Halbes ist, weil das in einer Liebesbeziehung eigentlich beide sagen müssten? weil man dann auch sagen könnte ‚wir lieben einander‘?
oder geht es bei dieser halben Bedeutung um einen halben Satz?
Halbe Strecke?
ich lie. – .be Dich?
oder: ich liebe. – .Dich?
ich. – .liebe Dich?
und überhaupt: müssten wir nicht erst den Begriff Liebe definieren?
Und was ist mit dem Verb? ist Lieben eine Handlung? ein Geschehen? ein Geschenk? muss man etwas tun dafür? muss man sich das verdienen?
ist Liebe ein Urteil? eine Bewertung?
oder ist das Ganze nur ein Hormon-Ding?

Prof. Dr. Guru Nadjist bewertete meine Arbeit mit einer 2-3, er meinte, das wäre ein netter Versuch, der vielleicht eine 2 verdiene, aber Punkt 6 offenbare, dass ich fragwürdigen Charakters sei, und daher ziehe er noch mal eine halbe Note ab.
Außerdem legte er mir nahe, die kleine Blonde hinter mir mal auf einen Kaffee einzuladen. Ohne jeden Zweifel wüsste sie mehr von der Liebe als ich, und es schmerze ihn geradezu, dass ich offensichtlich zu dämlich sei, die verliebten Blicke zu bemerken, die sie mir zu wirft. Er schrieb es sei generell unangemessen und unhöflich, das offensichtliche Interesse einer Dame einfach zu ignorieren. Gleichwohl werde er mir jeden Finger einzeln brechen, sollte ich auf den Gedanken kommen, ihre Ersparnisse via Western Union zu verschieben.

* Prof. Dr. Guru Nadjist, der schon an Dutzenden Universitäten als Dozent für Angewandte Philosophie und Verpackungslehre wirkte, und entscheidend an der Entwicklung von nicht-medizinischem Marihuana und Tiefkühlpizzen beteiligt war, gilt als der umstrittenste Philosoph der Postmoderne.
Zu den Schülern dieses Denkers, dessen Alter nie eindeutig bestimmt werden konnte, zählen bekannte Persönlichkeiten wie Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, Tyler Durden und Erna Schmidt-Doldinger. 

Guru Nadjist, der von vielen wegen seines Buches ‚Ihr seid zu blöd zum Ficken!‘ den Vertretern sexueller Enthaltsamkeit zugeordnet wird, starb vergangenes Jahr im Kreise seiner mehrheitlich weiblichen Geliebten, was sich allerdings drei Tage später als Trugschluss erwies, als er sich in der Aussegnungshalle im offenen Sarg aufsetzte, mit den Worten:

„Wow! Das war echt der Hammer! Moment mal. Was das denn hier? Ne, oder? Das ist doch… das ist jetzt nicht Euer Ernst, oder? Man! Seid ihr total bescheuert? Seid ihr noch nicht mal in der Lage zwischen post-koitaler Unio mystica und dem Tod zu unterscheiden? Ihr seid doch echt so was von…
Ach Kinners, setzt euch mal und sperrt die Lauscher auf, ich muss euch was erklären: die Kinder werden nicht wirklich vom Storch gebracht. Und Nein, auch nicht von Amazon. Tatsächlich ist das alles viel wunderbarer…“

Die Thesen von Guru Nadjist gelten in Fachkreisen als umstritten, allerdings halten sich Kritiker des Mannes, der mit seinem Buch ‚100 todsichere Wege, wie Du Kritiker für immer vom Antlitz dieser schönen Erde verschwinden lässt‘, ein Grundlagenwerk in der Verpackungslehre etablierte, mit bemerkenswerter Disziplin vor Repliken zurück.

Mit Spannung allerdings erwarten Fachkreise wie Öffentlichkeit Guru Nadjists kommende Publikation mit dem Titel ‚es ist sooo einfach – die Letztbegründung von Allem.‘

Laut eigener Aussage soll dieses monumentale Werk schon im kommenden Jahr erscheinen, wobei angemerkt werden darf, dass Guru Nadjist das schon vor zehn Jahren versprach. In seiner Essay-Sammlung ‚Du bist schuld!‘ erklärte er dazu: „Ach Leute! Tut nicht, was ich tue, sondern macht, was ich Euch sage. Ach verdammt. Macht doch, was ihr wollt!“

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