House of the Rising Sun

Jetzt & Hier 18. Oktober 2020

ich habe ein Haus, ich weiß gar nicht mehr, wann ich es gebaut habe. ich glaube den Grundstein dafür habe ich als 8-jähriger gesetzt, und ich wohne darin seit ich anfing zu rauchen, also seit meinem 17ten Lebensjahr.

Hinter meinem Haus erstreckt sich eine weite Landschaft bis zu den Bergen hin, an deren schneebedeckten Gipfeln das Licht zuweilen silbern und purpurn, an klaren Tagen mitunter auch golden leuchtet. 
Dazwischen schmiegen sich weite Wiesen an duftende und geheimnisvolle Wälder, an deren Bachläufen scheue Undinen leben, die man manchmal aus den Augenwinkel wahrnehmen kann.
Leichter zu entdecken sind die Sylphen, deren Tanz zwischen den Bäumen mir immer als Flimmern in der Luft offenbar wird, eine meiner frühsten Erinnerung übrigens.
Auch die Waldgeister sind mir vertraut, aber früher noch kamen sie zu mir, als ich noch unbefangen war, und niemandem erzählt hatte von dem was ich sehe.

Als ich davon in der Schule berichtete, erklärte man mir, dass das nicht stimme, dass wirklich nur sei, was man anfassen und was alle sehen könnten.
Diejenigen Erwachsenen, die mir wohlgesonnen waren, zeigten sich besorgt über meine Phantasie, andere vertraten andere Urteile.

Aus solcherlei Urteilen ist mein Haus gebaut, wobei zugegebener Maßen die meisten dieser Urteile von mir stammen. Dem Putz ist die Mauer nicht anzulasten und bisher vermochte niemand mich so zu hassen wie ich mich selbst.
Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich selten zuhause bin.

Viel lieber bin ich draußen. Am Liebsten liege ich auf einer der Wiesen hinter dem Haus und betrachte das Wogen von Halmen, Ähren und Blüten im Wind. Gerne verliere ich mich im Anblick still vorüberziehender Wolken, und wenig vermag mich mehr zu besänftigen als das Flüstern des Windes in den Bäumen.
Bäume sind die friedlichsten Geschöpfe auf Erden.

Auch in den Bergen war ich schon, mehrfach sogar. 
Dort in der Stille berührte ich den Himmel und sprach zu den Sternen.
Übrigens ist den Sternen unsereins vollkommen gleichgültig. Sie waren schon da, bevor die Dinosaurier unsere Welt erkundeten, und sie werden noch da sein, wenn nichts mehr an eine Menschheit erinnert. So wie ihr Licht Äonen brauchte, um überhaupt zu uns gelangen, wird auch unser Licht Äonen brauchen, um sie zu erreichen. Und was werden wir anderes sein als ein Wimpernschlag in der Wahrnehmung einer So-heit, die ihre Existenz in Milliarden terranischer Jahre misst?

Dem Licht selbst sind wir nicht egal, aber von Licht, Himmeln und dem Kosmos mag ich an dieser Stelle nicht weiter sprechen.
Was weiß ich schon davon?
Je mehr ich zu wissen vermeine, desto klarer wird mir, wie viel ich noch zu lernen habe, und wenn ich mir ansehe, wo mein Haus steht, dann wird deutlich, dass da noch viel Luft nach oben ist.

Oft sitze ich dort rauchend auf der Veranda, oder stehe ans Geländer gelehnt, unter mir der Abgrund, in den ich mich als 8jähriger dann doch nicht gestürzt habe. Er ist immer geblieben, er war immer da. Als Verlockung, als Tal grenzenlosen Selbstmitleids, aber auch als Kristallisationspunkt von Freiheit.
Im Angesicht des Todes wird das Leben sehr deutlich, und unbestritten auch sehr lebendig.
Aber es stimmt auch, was Nietzsche sagte: starrst Du lange genug in den Abgrund, starrt der Abgrund irgendwann zurück.
In solchen Momenten pflege ich meine Zigarettenkippen hinein zu schnipsen.

Ich würde mein Haus gerne verlassen, und mich anderswo niederlassen.
Jahrelang zog ich deshalb umher, zwischen den Weiten der Ebene und dem Gebirge, allein sesshaft vermochte ich nicht zu werden.
Du kriegst den Jungen aus dem Ghetto, aber das Ghetto nicht aus dem Jungen.
Aber ist das wirklich so?
Ist das wirklich genau so?

ich glaube das nicht, ich glaube an ‚Narrativium‘.
es ist was, was es ist, denke ich, aber es war und wird sein, wofür man es hält.
Leben ist lebendig, aber über den Augenblick hinaus, der schon schwer zu erfassen ist, ist Leben Geschichte, ist Leben Erzählung.

Ich wohne nicht in einem Haus am Abgrund. Ich war dort, ja. Aber ich lebe nicht dort, ich lebe hier. Ein hier übrigens, das im Laufe meines Lebens derart häufig  den Wohnort gewechselt hat, das selbst Einwohnermeldeämter das schon als Wanderschaft bezeichnen könnten. Auch macht es einen Unterschied, ob man sein Leben als Wanderschaft begreift, oder als Häuslesbesitzer, besonders wenn man bedenkt, das alles endlich ist in jener Welt, die man mich als die Wirkliche zu verstehen lehrte. Nach meinem Ableben will ich dem Tod lieber von einer Wanderschaft berichten, als von Immobilienbesitz, ganz gleich ob in der Schlossallee oder der Bahnhofstraße.

Häuser wie Räume aber entstehen durch Grenzen, Grenzen letztendlich dessen was wir für möglich halten um demjenigen Raum zu geben, was wir als notwendig erachten.
Aber das bin nicht ich.

Ich bin. Ich bin ich, ich bin Du, ich bin Aurelin, ich bin Schriftsteller.
Ich erfinde Geschichten und erzähle sie mit Worten.

Menschen hinterfragen Geschichten meist nach ihrem Wahrheitsgehalt, aber es gibt keine Wahrheit, das heißt es gibt durchaus eine Wahrheit, wir aber haben nur eine Vorstellung davon, und wenn wir über Wahrheit sprechen, haben wir sie nur als sehr begrenztes Modell, eines das zudem meist strittig ist, und wie könnte so etwas wie echte Wahrheit strittig sein?

Wirklichkeiten, die haben wir. Jeder seine eigene, aber auch die ist nur Geschichte. Sie war Geschichte, ist faktische Realität im jeweiligen Hier & Jetzt, und Fiktion in der Zukunft. Eine Datenspur mit Zeitlinie. Hochkomplex und gleichermaßen total simpel. Ein geheimnisvolles Mysterium wie das Universum selbst, hinterlegt in Banalitäten, tausendmal schon gesehen, tausendmal schon gehört, wie langweilig.

Unterdessen sitze ich auf meiner Terrasse unter dem Dach des Balkons über mir und rauche. Es regnet. In den meisten Fenstern um mich herum ist es dunkel, nur in einem noch wird in bläulichen Flackern irgendein Konflikt ausgestrahlt.
Wir alle träumen, immerfort.

Auf meinem Bett liegt mittig, so dass für mich kaum noch Platz bleibt, mein Kind und schläft, und in seinem linken Arm schläft Mama Eselchen.

Erinnerst Du Dich noch an Dein wichtigstes Kuscheltier? weißt Du noch, wie es hieß? lebt es noch?
Wir alle träumen, immerfort.
und ich sitze zwei Meter weiter, in der Rechten eine Zigarette, vielleicht wieder eine dieser Letzten und betrachte dieses rote Glühen in der nasskalten Nachtluft.

Irgendwo habe ich ein Haus am Abgrund, in dessen Keller gerade die Sonne aufgeht, eine House of the Rising Sun.
Ich muss das Haus gar nicht abreissen, kein Staub, keine Plackerei. Die Sonne strahlt es in die Unendlichkeit ab, wo es nach wie vor den Sternen am Arsch vorbei geht.
Es gibt keine Grenzen, es gibt nur eine Geschichte, die wir schreiben.
Ich war noch nie jenseits der Berge, nie bin ich über den Horizont hinaus gegangen. Aber wenn Zeit nicht jetzt ist?

wann dann?

der Archimedische .

Jetzt & Hier 2. Oktober 2020

ich sitze an meinem Schreibtisch wie ein im Fluss treibendes Stück Holz, halb unter Wasser, halb an der Luft und bewege mich stromabwärts jenem Ende entgegen, das mir bestimmt ist, so wie es allem und jedem bestimmt ist.

Murakami ist zu Gast. Er spricht und spricht nicht. In stummer Erwartung sitzt er auf einem Sessel in einer der zahllosen Ecken in meinem Kopf, die für Schriftsteller reserviert sind, die mir etwas zu sagen haben, zusammen mit allen anderen Künstlern, aus deren Werken Bedeutung zu mir spricht.

Und ich sitze an meinem Schreibtisch, unbedeutend, untätig und auf der Suche nach meinem Bedeuten.
Es heißt jeder sei ersetzbar und genau so empfinde ich mich.
Verschwände ich einfach, welchen Unterschied würde das machen?
Lautlos würde Wasser die leere Stelle im Fluss ausfüllen und nur einen Augenblick später wäre ich, das Stückchen Treibholz vergessen.

Was schon die Frage nach der Faktizität von Ich aufwirft.
Bin ich nur ein Tropfen im Ozean, oder bin ich der Ozean?
Bin ich Fluss oder Treibholz?
Trägt mich das Wasser oder versucht es mich hinunter zu ziehen, um mich im Sediment zu verscharren?
Ist Luft Leben oder Freiheit?
Wer will darüber urteilen?
Es heißt auch, man solle nicht alles glauben was man denkt. 

ich bin Aurelin.
und glaube mich hilf- und sinnlos zu fühlen angesichts der Kräfte und Ereignisse, die auf mich einwirken.
Und doch, wenn ich es bedenke:
niemand anders als ich selbst habe mich in diese Lage hinein manövriert, und ich wusste wozu ich das tat.
ich tat es, um meine Träume zu leben und zu verwirklichen.

Deshalb sitze ich jetzt hier an meinem Schreibtisch.
ich habe mich in eine Falle hinein gearbeitet, aus der es nur einen Ausweg gibt, nämlich zu tun, was ich tun will, allein ich tue nichts. Es ist als ob mir der Wille fehlte, wo ist er hin?

ich kann seinen Blick spüren. Aus allen Ecken und Winkeln in meinem Kopf starrt er mich an. Aus den Augen aller in meinen Kopf projizierten Schriftsteller, Dichter,  Denker und Künstler.

Es ist die Summe aller Bedeutungen überhaupt, der ich mich stelle.
Und sie liegt auf meiner Feder wie Blei.
Alles liegt wie Blei auf mir.
Und ich darunter, immer nur darunter und immer noch auf der Suche nach dem Archimedischen Punkt. 

Führen

Jetzt & Hier 29. September 2020

genau vor einer Woche hat mein Tanzkurs begonnen und der erste Abend hat mir richtig Spaß gemacht und Freude. der heutige nicht.

ich stehe ganz am Anfang, das ist mein erster Tanzkurs. begonnen mit dem Tanzen habe ich in Nächten und Räumen, in denen niemand hinsah, allein, nur ich und die Musik und der Drang irgendwie das körperlich zum Ausdruck zu bringen, was ich in mir fühle.

zu zweit zu tanzen ist etwas ganz anderes.
mit M, (m)einer Gasttänzerin beim ersten Mal, hat das gut funktioniert. 
mit B fast gar nicht. es gab nichts, was sie nicht kritisierte. das begann mit der Auswahl an Musik, noch bevor wir tanzten, zog sich über meinen Tanz-Stil hin, und endete damit, dass sie zum Schluss vom Parkett eilte, um sich die Hände zu desinfizieren, ohne mir wenigstens anstandshalber Raum für einen Dank oder irgend etwas anderes zu geben.

ich könnte jetzt im Detail ausführen, was da alles nicht gepasst hat, oder es resümieren, aber zum Einen stört mich im Augenblick der Duft ihres Parfums, den ich mit Händewaschen und Rauchen aus meiner Nase zu treiben versuche, und zum Anderen wäre ich auch nicht besser, addierte ich hier ihre Aussagen und ihr Verhalten zu einer wenig schmeichelhaften Charakterisierung ihrer Selbst.

Das ist nicht hilfreich.
Hilfreich ist es mich selbst zu zentrieren und zu orientieren:
ich will tanzen lernen.
und mein Eindruck vom ersten Mal war, dass ’schönes‘ Tanzen aus gemeinsamen Harmonieren entsteht. Inwieweit ich dafür das Führen beherrschen muss, muss ich erst noch heraus finden; wie ins Tanzen selbst spüre ich mich da hinein.

was ich aber weiß ist, dass Dynamik und Inhalt von Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Menschen auf einer tieferen Ebene schon ausgehandelt werden, bevor die Kommunikation überhaupt beginnt.
Auch das ist Führen, allerdings wird der Einfluss nicht am Anderen vorgenommen, sondern an sich selbst.
ich nenne das mal ‚Innere Führung‘. es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen oder zu schreiben, auch weil ich meine Gedanken dazu bisher noch nie mit jemand anderem besprochen habe. in dieser Hinsicht blieb es bei Versuchen, weil meine grundsätzliche Annahme stets zurück gewiesen wurde.
Aber anlässlich dieses desaströsen Abends werde ich diese Woche noch sehr viel darüber nachdenken.

jetzt, in diesem Augenblick, verspüre ich eher Abneigung noch einmal mit B zu tanzen.
Aber tanzen will ich lernen.
und den Widerstand als Herausforderung nehmen.

Ein Glück hatten wir heute Tanzschritte, die man auch gut alleine üben kann.
Der Dai-Sifu begann in Ermangelung einer Holzpuppe eines Tages die Holzpuppen-Form ohne Puppe zu üben.

Ich bilde mir in meinem Fall nicht ein, das könne echten Tanz ersetzen, aber ich weiß, dass ich über genügend Vorstellungsvermögen verfüge, mir eine Tanzpartnerin zu imaginieren, mit der ich besser harmoniere.

So. und jetzt geh ich Duschen. Mit einer Seife, die mich von diesem widerlichen Parfum befreit.

Nachtrag: 10 mal meinen rechten Arm gewaschen, 6 mal mit Seife, 4 mal mit Desinfektionsmittel, der Geruch klebt immer noch an mir… ich fürchte, ich muss mir für solche Fälle alkalischen Grundreiniger besorgen. Bremsenreiniger oder so was.

Nachtrag 2: es ist 2 Uhr in der Nacht, aber mit diesem ‚Duft‘ kann ich nicht schlafen. Hab’s mit Essig probiert – Fehlanzeige. ich dachte schon, jetzt würde ich nach Caprese riechen, aber mit Küchenseife ging der Essigduft auch wieder weg. Nur Bs Parfumduft blieb. Jetzt hab ich es mit Bad-Reiniger probiert, das scheint besser zu funktionieren… oh Mann! wenn Führung beim Tanzen schon damit beginnen soll, die Partnerin darauf hinzuweisen, sie möge sich bitte nicht so einnebeln, dann wird die Bitte, sich mal auf den eigenen Tanz zu konzentrieren, statt dauernd die anderen zu beobachten wohl deshalb schon vergebens sein. Von einem befreiten Kreuzbein und Tanzschritten, die weiter als fünf Zentimeter gehen, brauche ich dann gar nicht mehr anfangen.

Nun ja, es bringt nichts, an den Einstellungen anderer zu arbeiten – das geht nur bei den eigenen.
Zumindest scheint das mit dem Badreiniger zu funktionieren.

Nachtrag 3: 3 Uhr. ich brauch wohl doch Bremsenreiniger. Oder Chlorbleiche.

wie B wohl darüber denkt? nicht über ihr Parfum und ihren Umgang damit, sondern über diesen Tanzabend.

im Grunde brauche ich darüber gar nicht nachdenken – ich sitze schon drin in der Bewertungsfalle, und sie hat den ‚Schuldigen‘ ja schon benannt.
Damit neigt sich mein Tanzkurs schon dem Ende zu, kaum dass er angefangen hat.

Allein ich bin nicht bereit, dass so zu akzeptieren, denn immerhin will ich tanzen lernen. Aber mit B wird das so nicht möglich sein, und bei der Einstellung, die sie gestern gezeigt hat, sehe ich auch keine Möglichkeit das aufzulösen.

Nun, dann werde ich eben einen anderen Weg finden.

zu intim?

Jetzt & Hier 27. September 2020

warum machst Du das?‘, fragte sie, ‚ich würde das nie tun! Das ist doch viel zu persönlich, viel zu intim!‘

ist es das?
zu persönlich, zu intim?
für wen?

ich erklärte ihr im weiteren Verlauf unseres Gespräches, dass das für mich schon deshalb keine Rolle spiele, weil es im Grunde eh keiner lese. Gewiss, der ein oder wohl eher die Andere wird es lesen, aber diese wenigen Menschen wissen mehr über mich, als diesen meinen Zeilen zu entnehmen wäre, vielleicht wissen sie mehr über mich als ich selbst.
und sie lesen schweigend, niemand sagt etwas dazu.

vielleicht wird sich das ändern, eines Tages. ich gehe sogar davon aus, aber ist es auch dann noch persönlich und intim, wenn es Jahre zurück liegt, wenn die Gesichter zu den Namen, die ich im Übrigen ja auch nicht nenne, schon vergessen sind?

ich bin einmal mit 40 Kg Marihuana und Haschisch 150 Km durch Deutschland gefahren. Das ist Jahre her, interessiert das noch jemanden? 

Nein. Genauer betrachtet interessieren wir uns für Dinge, die Jetzt eine Rolle spielen, und meist auch nur dann, wenn sie für uns selbst eine Rolle spielen.

Intimität ist etwas gegenwärtiges, nichts vergangenes, und der Aspekt des Persönlichen spielt auch eher dann eine Rolle, wenn wir fürchten, andere könnten entdecken, dass wir uns in einer Rolle verstecken, statt ganz derjenige zu sein, der wir zu sein vorgeben.
Allerdings weiß man das als halbwegs intelligenter Mensch auch so schon, und überraschender ist wohl eher inwiefern und wie weit sich Außendarstellung und (Innen)erleben unterscheiden, als dass sie es tun.

wozu sich also gerade dort verstecken, wo es ohnehin kaum jemanden interessiert?
und im Weiteren: wozu sich überhaupt verstecken?

im Beziehungsrahmen begegnet mir immer wieder der Begriff des ‚Vertrauens‘. ein schwieriger Begriff, was bedeutet er?

Bedeutet er, stets zu tun, was man sagt?Dritten nichts davon zu erzählen, was einem persönlich und intim ‚anvertraut‘ wurde?
oder bedeutet er, dieses persönliche und intime Wissen nicht gegen den anderen zu verwenden? den anderen damit zu manipulieren? zu zwingen?

Vermutlich spielen alle drei Aspekte bei ‚Vertrauen‘ eine Rolle, und noch vermutlicher leidet ‚Vertrauen‘ nicht an einer konkreten Verletzung eines solchen Agreements, sondern an der Verletzung des Rahmens dessen, was wir uns selbst vormachen, was wir als wahr und unumstößlich annehmen, obwohl wir es eigentlich besser wissen könnten oder sollten.

Ach wie schön wäre das, sich einem anderen Menschen ‚anvertrauen‘ zu können, gerade auch in all der Widersprüchlichkeit, die uns tatsächlich eher ausmacht, als das Selbstbild, das wir pflegen…

aber ich fürchte, ich schweife zu sehr ab.
Auch das hat seinen Grund, und wenn auch nicht ausformuliert, dürfte er doch offensichtlich sein, aber darum sollte es ja auch nicht gehen. Es sollte ja um die Frage auf die Antwort gehen, ob es nicht zu persönlich und intim ist, was ich hier schreibe, und offen gestanden:
die geringe Anzahl an Leser*innen war und ist nur eine Ausrede.
es spielt keine Rolle, wieviele Menschen das hier lesen, ob zwei oder zwei Millionen.

eher spielt es eine Rolle, wer das liest, aber auch das nur insofern, als dass die Inneren Reaktionen Energie bewegen, und das wiederum macht natürlich auch etwas mit mir als Verfasser, wobei sich das bei zwei schweigenden Lesern sehr in Grenzen hält.

weiter fragte sie, ob ich das nicht vernetzen wolle, um mehr Leser zu erreichen.

Nein, möchte ich nicht. Vielleicht mache ich das irgendwann einmal, aber mich erschreckt der Gedanke, mich zu einer öffentlichen Person zu beschneiden, um eine ‚Rolle zu spielen‘.

Dieser Aspekt des Bloggens wird wenig hinterfragt. Tatsächlich geht es inzwischen genau ums Gegenteil. 
Es geht um Traffic, SEO, möglichst viele Follower, ganz allgemein um ‚Erfolg‘, der auch möglichst monetisierbar sein muss.

um Inhalte geht es eher nicht. in der modernen Netzwelt ist Inhalt nur ein Aspekt. Da heißt es, man müsse seine Nische finden, und meist wird auch empfohlen, seine eigenen Artikel wieder zu verwenden.

Das Netz ist seltsam geworden. Und auch ein wenig langweilig.

Nun: ich habe diese Seite mit anderen Gedanken begonnen, und habe sie auch gar nicht endgültig ausformuliert.
ganz allgemein geht es mir um Kunst.
es wäre gelogen, behauptete ich, mir keinen Erfolg zu wünschen. es wäre toll, würden tausende Leser*innen das lesen, was ich hier schreibe, und es diskutieren. ich würde mich sehr geschätzt fühlen.
Allerdings entsteht daraus keine Kunst.
Und im Gegensatz zu den Heerscharen an Influencern will ich nicht darauf hinarbeiten mich von Bestätigung möglichst satt korrumpieren zu lassen.

ich brauchte eine ganze Weile um die richtige Antwort finden und formulieren zu können: 

ich will mein Leben schreiben und mein Schreiben leben.

zu intim?

😀

ehrlich

Also 11. September 2020

eine der Fragen die man auf Finya beantworten kann, um anderen einen Eindruck davon zu vermitteln, wer man ist, lautet:

Sie Sie tendenziell ehrlich?

wie würde ein Betrüger diese Frage beantworten, ein notorischer Lügner?

gar nicht mal wenige Frauen beantworten diese Frage mit einem ‚Ja, immer‘.
ich weiß nicht wie Männer darauf antworten; ich habe kein romantisches Interesse an Männern, aber ich bin mir ziemlich sicher, noch nie einem wirklich ehrlichen Menschen begegnet zu sein.

müsste ein wirklich und wahrhaftig ehrlicher Mensch nicht aus sich selbst heraus leuchten, unvergleichlich leuchten?
ein solcher Mensch, stelle ich ihn mir vor, müsste sein wie Jesus, in der Gegenwart ruhend mit der Kraft und Präsenz eines ganzen Lebens, unbeirrt unbeirrend, selbst. Ohne Maske. und ohne Angst.

obwohl seit jeher eher einzelgängerisch veranlagt bin ich im Laufe meines Lebens vielen Menschen begegnet. weniger Menschen vermutlich als jemand der extrovertiert lebt oder sich zu Gruppen hin orientiert, aber vielleicht hat das Singuläre in meinem Wesen meinen Begegnungen auch etwas mehr Tiefe oder einfach nur mehr subjektive Bedeutung gegeben.

und so oft wurde und werde ich belogen.

die Frage nach meiner eigenen Ehrlichkeit mal hinten angestellt; ich finde das gar nicht unbedingt so dramatisch belogen zu werden, und ich denke sogar in den meisten Fällen liegt dem keine böse Absicht zugrunde.
Manchmal geht es ja auch nur darum jemanden nicht zu verletzen. Noch öfters vielleicht geht es auch darum, sich keine Blöße geben zu wollen. 
Und gar nicht so selten liegt der Lüge eigentlich eine Selbsttäuschung zugrunde.

‚ich bin immer ehrlich‘ – was für eine Aussage ist das eigentlich?

bedeutet das, keine Lügen zu verwenden um einem Bedürfnis Geltung und Befriedigung zu verschaffen, niemals?
bedeutet das liebevolle Schonungslosigkeit in jeder Hinsicht?

ich war mal verheiratet, Ha! das ist gelogen! ich bin es immer noch! Trotz Verzicht auf Versorgungsausgleich, beiderseitig zwar, aber in diesem Fall bin ich es, der rechnerisch zurück steckt, hat das Familiengericht immer noch keinen Scheidungstermin angesetzt. Dabei sind jetzt wirklich alle Fragen geklärt.

Jedenfalls gab es mal eine Zeit, in der ich verheiratet war (was eine geschickte Lüge!). Nicht glücklich, aber hoffend auf Glück, also ich zumindest. Ich hoffte auf Partnerschafts- und Familienglück. Tatsächlich aber dröhnte ich mir etwa alle zwei Monate für ein bis zwei Wochen die Birne mit Gras zu, und zwar höchst heimlich und klandestin. Meine Frau mochte das nicht, sie hasste es. Sofern sie es erlebte/ erfuhr, aber das tat sie ja nicht, denn ich machte das ja heimlich. 
und zumindest damals konnte ich das auch wirklich gut verbergen.

Den Beziehungstatbestand könnte man als ‚verschweigen‘ bezeichnen. Gemeinhin gilt das als Lügen, weil es ja um Relevanz geht.

Ist Kiffen dasselbe wie in den Puff zu gehen?Ich persönlich finde: Nein.
speziell in meinem Fall hatte es zwar eine ähnliche Funktion, aber mir ist auch immer schon diese phonetische Inversion von ‚Kiffen‘ und ‚Ficken‘ aufgefallen. 
ich glaube übrigens fast, dass das noch keinem anderen aufgefallen ist, aber auch falls dem doch so sein sollte: für mich war das mein Weg eine unbefriedigende Sexualität auszuagieren, bzw zu betäuben. 

ich hab das damals auf diese Weise so mit mir selbst und alleine ausgemacht.
Andere Männer wären ins Bordell gegangen und hätten es mit einer Prostituierten ausgemacht. oder etwas anderes.

So oder so habe ich getan was ich getan habe und ich hielt das so lange für richtig, bis mir dämmerte, dass Substanzmissbrauch kein gangbarer Weg in eine erfüllende Liebesbeziehung sein kann. Die wollte ich aber mit meiner Frau erleben.

Preisfrage: Hätte ich das mit dem Kiffen einfach beenden und für mich behalten sollen? um dann mit klaren Kopf und zwar allein einen besseren Weg zu finden, für mich, für uns?
Fahrradkette…

entschlossen, einen besseren Weg zu finden, vertraute ich meiner Frau mein Geheimnis an. Wozu ist man denn verheiratet, wenn man nicht ehrlich sein kann/ darf zu und mit seinem Partner?

Die anschliessende Paartherapie half uns gar nicht, aber sie glättete die Wogen.
Und ließ mich mit einer mehr als nur fragwürdigen Erkenntnis zurück:

willst Du Deinen Partner nicht verlieren, dann verstecke Dein wahres Selbst so gut wie nur irgendwie denkbar und präsentiere stattdessen genau den Menschen, den Dein Partner haben will. Hast Du irgendwelche Probleme, dann mach das mit Dir selber aus, aber belaste nicht Deinen Partner damit.

Wie textete Michi Beck einst so schön?
‚ich dachte ich könnt’s schaffen bis zuletzt‘

es kann ja gar nicht abgegriffener klingen, aber hinterher ist man halt doch immer schlauer.

‚Sind Sie tendenziell ehrlich?‘

meine ehrliche Antwort: Nein, bin ich nicht.

aber ich wär’s gern.
da steckt so viel Kraft drin, in Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit.
und wie schön das erst sein muss in einer Beziehung, wenn man sich nicht mehr verstecken muss. wenn man sich zeigen kann, wie man wirklich ist: unperfekt. lebendig. verunsichert. wenn man vielleicht auch gerade einfach nicht weiß, wie es weiter geht, oder mehr Gefühle empfindet, als in eine Schublade passen. und wenn man trotzdem geliebt wird, oder vielleicht nicht unbedingt geliebt, aber zumindest mal so weit angenommen, dass man nicht verurteilt wird, für das was man fühlt und denkt.

Andererseits… was muss man tun, wer muss man sein, um nicht dafür verurteilt zu werden, zu sein wer man ist?
Jesus?
wohl eher nicht.

was will jemand wirklich zum Ausdruck bringen, wenn er/ sie behauptet immer ehrlich zu sein?

den Wunsch, es sein zu dürfen?
den Wunsch, der andere möge es sein?

Hass

Jetzt & Hier 1. September 2020

meine Mutter stand in der Küche und bereitete das Mittagessen zu, als ich auf der Anrichte das Buch entdeckte. ‚Muttertag‘ von Nele Neuhaus. 550 Seiten, das ist recht viel für einen Roman, für Nele Neuhaus vielleicht erstaunlich viel, und diesem Gedanken steckt auch schon wieder erstaunlich viel (Vor)urteil. Ich habe einen Roman von Neuhaus gelesen, als sie noch ziemlich unbekannt war, und hatte eigentlich nicht den Eindruck, dass sie viel zu sagen hätte. Damals war die Lektüre ein Zeitvertreib, Prokrastination in Reinform. Ich sass in meinem Auto auf einem Supermarktparkplatz und las einen Roman von ihr auf dem iPhone statt zu arbeiten, es war nett. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Und nun hielt ich dieses Buch in Händen, ungelesen, und war beeindruckt von 550 Seiten Umfang. Meine Mutter fragte, was es gekostet habe, und nach einem Blick auf die Rückseite antwortete ich, „15 Euro“. Sie hat es sich nicht selbst gekauft, es war ein Geschenk. Meine Mutter liest zwar recht viel, aber eher selten bis nie Bücher solchen Umfangs.
„Ganz schön viel Arbeit für 15 Euro.“, entgegnete sie, und es war klar, dass es hier weder um dieses Buch, noch um diese 15 Euro ging. Es ging um mich und meinen Plan.
Ich erzählte ihr ein wenig vom Werdegang, von der Karriere der Nele Neuhaus, die vor Jahren im Self-Publishing anfing, und deren Buch jetzt mit dem Aufkleber tituliert wird, die Nummer 1 der Spiegel-Bestsellerliste zu sein, aber ich erzählte das in zerstreuender, abwiegelnder Absicht.

ich habe keine Lust die ökonomischen Aspekte eines Schriftsteller-Lebens zu diskutieren. andererseits kann ich natürlich die Sorge einer Mutter um Gegenwart und Zukunft eines Sohnes verstehen, der wahlweise missraten oder aus der Art geschlagen ist, so wie ich es bin. Allein mir stellt sich die Frage nach dem ökonomischen Erfolg gar nicht mehr, und das sage ich, nachdem ich heute nachmittag mit exakt 0 Euro in der Tasche bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht saß um zu beraten, wie ich mich gegen meinen Ex-Chef wehren kann, der mit aller Macht, sprich Einbehalten von Lohn und falsche Angaben in der Arbeitsbescheinigung versucht noch einmal gegen mich nach zu treten.

Und tatsächlich beschäftigt mich diese Frage viel mehr: soll ich zurück treten, und wenn ja mit welchen Mitteln? und wozu? tendenziell will ich ja nicht mehr als meinen Frieden, in diesem Fall aber frage ich mich, ob ein Gang vor Gericht und ein kleiner auf Monate angelegter Kleinkrieg nicht viel sinnvoller wären. Gar nicht der Sache wegen, sondern um diejenige Emotion zu generieren, die ich für mein kommendes Projekt brauche: Hass

Kowalski, Bericht!

Jetzt & Hier 26. August 2020

Als wir nachts durch die eiskalte Erms liefen sprachen wir über vieles. Wir sprachen über Schuld und Anmassung, über die großen Philosophen, und über die Frage ob es überhaupt ein Selbst gibt, das ein Ich hervor bringt.

Gibt es mich? Gibt es mich wirklich? Bin ‚Ich’ aus einer Perspektive jenseits von Leben und Tod, einer vielleicht höheren Perspektive einfachen Seins – Du?
Dieses Leben – ist diese Individualität von ICH nur Phänomen von Sterblichkeit? Illusion des Getrennt-Seins von Dir, auch von DIR, von allem und jedem?
was ist dann verlockender? was wahrer? was schöner?

Das sind wichtige Fragen, und sie sind auf ihre eigene Art viel entscheidender als das Tagesgeschehen, als Notwendigkeiten, eingebildete oder reale, als Bedürfnisse, Wünsche oder Träume, denn was, wenn das alles nur Traum ist? Und vergleichbar wichtig, wie das Zeug, das Du heute morgen geträumt hast? oder ich? 
Denn wir kommen nicht ganz umhin, Getrenntheit und Individualität anzunehmen, nicht solange wir einander ansehen können. und miteinander sprechen.

ich weiß keine Antwort auf diese große Frage, ob Individualität nur Illusion ist, nur ein Traum von endlichem Leben, eingebettet in ein möglicherweise unbegrenztes Sein.
wäre das nicht schön? eingebettet zu sein in grenzenloser Liebe? Du und Ich eines zusammen mit allen Dus, Ichs, ers, sies, wirs, ihrs? ein großes Es?

oder ist das einfach nur beängstigend?

ich weiß es nicht. ich vermag als Sinn individuellen Lebens nicht einfach anerkennen, dass Individualität enden und sich stattdessen in kollektivem Bewusstsein wieder auflösen soll.

aber an mir zerrt auch Sehnsucht. Sehnsucht nach Entfaltung, Verwirklichung, mitunter nach Rebellion und fast immer nach einem Du, um zu lieben und geliebt zu werden. Diejenige welche, die Frau im Nebel, FIN.
Romantisches Zerren, das mich emotional festhält, das mich nicht funktionieren lässt, nicht mehr.
Das mir nur noch die Freiheit lässt, zu tun, was ich im Innersten tun will, aber nicht, mich zu verschwenden in dem, was von mir erwartet wird. Vernünftiger Weise erwartet wird, aber nicht in dem Sinne, dass man wirklich von Vernunft sprechen könnte, viel mehr geht es um ökonomische Erwartung, aber der müssen wir uns alle stellen. Geburt, Arbeit, Tod, dazwischen Ausbildung und Nachwuchs. Immerhin glauben wir nicht mehr an Gott, wir glauben an die Wirklichkeit, und zwar die, die wir vorfinden und weiter erzählen(!).

und in Wirklichkeit sitze ich hier, sitze vor einem 5 Jahre alten Laptop, Rückenschmerzen, heute, meine Dampfe in der Hand, jetzt, und seit Tagen, vielleicht schon seit Wochen bin ich auf der Suche nach einem ganz bestimmten Narrativ, nach einer Erzählung, wie das alles gut werden soll. Für mich. Für diejenige welche, für mein Kind, meine Freunde und meine Familie.
Nun, ich bin Schriftsteller. Mir wird schon was einfallen 🙂

und eigentlich wollte ich ja auch von etwas ganz anderem erzählen:

wir waren im Schwarzwald, mein Kind und Ich, ein paar Tage Urlaub, ein paar Tage bei meinem besten Freund, meinem Bruder. und es war richtig schön. wir waren im Zauberwald bei Bernau, wir fuhren einen ganzen Tag lang mit einem kleinen roten Boot über den Hochrhein, und immer wenn es uns zu heiß wurde, zogen wir das Boot ans Ufer und sprangen ins Wasser, und in einem Bergwerk waren wir auch. mit einem Führer, der aus Frankreich stammte, und uns nicht nur erklärte, dass wir mitnichten Fußballweltmeister seien, sondern auch etliche aus dem Bergbau stammende Redewendungen, die heute kaum noch jemand hinterfragt. 

Er erzählte, dass im Südschwarzwald die Bergleute früherer Tage begehrte Ehemänner gewesen seien. Immer Arbeit, ein hinreichend guter Lohn, gemessen an dem, was die Landwirtschaft zu bieten hatte, Sicherheit, bescheidener Wohlstand. 

Und da ist sie schon wieder: die ökonomische Erwartung. Vater bringt das Geld ins Haus. Und weil die Luft nicht wirklich rein war, ging er irgendwann vor die Hunde und war dann bald weg vom Fenster. 

Was macht Mann mit und aus seinem Leben?

Mein bester Freund ernährt sich gerade einer bestimmten Methode folgend, bei der nur einmal am Tag gegessen wird. Diese Methode verspricht einige gesundheitliche und energetische Vorteile. Ich kann nicht behaupten, dass ich das alles verstanden hätte, aber ich bin in meinem Leben auch sehr vielen ‚Ernährungs-Ideen‘ begegnet und so richtig überzeugen konnte mich keine. Das liegt daran, dass sie mich nicht satt machen. Dabei habe ich nicht den geringsten Zweifel an der Wirksamkeit dieser Ernährungsformen, ganz im Gegenteil. Ich bin überzeugt davon, dass sich ein gewaltiger Anteil von Krankheiten durch die jeweils richtige Ernährung heilen lassen, aber mir scheint dieses Thema von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus gerade einmal in den Kinderschuhen zu stecken. Apologeten mögen mich anschreien, dass ich ja keine Ahnung habe, was ich da rede. Dass es diese und jene Studien gäbe, die zweifelsfrei beweisen würden, dass.

Aber Essen ist ein sehr individuelles Thema. Für mich jedenfalls ist es das.
Für mich ist Ernährung etwas Sinnliches.
Im besten Fall wohlschmeckend und in Gesellschaft von Menschen mit offenem Herzen.

Mein Freund kritisierte meinen in der Tat zwanghaften Konsum von Energydrinks in Verbindung mit dem Rauchen von Tabak. Und er hat Recht! Beides substituiert einen Mangel, einen ganzen Komplex von Mangel. Und es schadet mir, das spüre ich.

Ich bin so unperfekt.

Aber ich erlaube mir die Frage nach dem wozu?
Wozu die gesündeste Ernährung, die sich denken lässt?
um gesund zu sein? zu bleiben? um lange zu leben? wozu? wozu 5 oder meinetwegen auch 20 Jahre länger leben? um was zu tun? was zu erleben?

mein bester Freund ist ein weiser Mensch, und wenn auch nicht mit diesen Worten, erklärte er, dass es auf das Jetzt ankäme, die lebendige Energie des Augenblicks.
Ich erkenne das erst jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, was bedeutet, dass ich später noch gründlicher darüber nachdenken werde, aber in jenem Augenblick war ich gefangen in meiner Melancholie.
Was will ich denn vom Leben?
im Grunde doch einfach glücklich sein.

Liebe, Kunst und Freiheit.
das sind drei Qualitäten, die zwar eine materielle Komponente haben, aber kein materielles Ziel. wie und wo soll ich da gesunde Ernährung einsortieren?
die Melancholie greift immer noch nach mir (dämliches Narrativ!)…
in jenem Gespräch konnte ich den Gedanken gesunder Ernährung nur unter einem Aspekt denken: sie soll mir gut tun.

und mit dem Gefühl schwächer als es sein sollte auf einer Art intellektueller und emotionaler Leiter zu stehen, und zwar einige Sprossen unter denjenigen, auf denen ich gerne stünde, möchte ich an dieser Stelle schließen, ganz ohne poetischen Zirkel.
Es war ein anstrengender Tag heute, aber solange es noch einen Morgen gibt, habe ich auch immer eine Art von Hoffnung, dieses Morgen möge kraftvoller sein.

Alles Liebe

Aurelin

autoaggressiv

Jetzt & Hier 16. August 2020

Gedanken beißen sich fest in mir. Den Kopf gegen eine rau verputzte Ziegelmauer zu schlagen. Bei 150 das Lenkrad herum zu reißen. oder mich anzuzünden. ich brenne doch so gerne, warum nicht mal wirklich?

verschiedenen Auffassungen zufolge, auch meiner eigenen, sind Gedanken real, sie haben eigene Form und Gestalt und bilden Substanz in einem Raum Höherer Ordnung, an dem wir Menschen, und biologische Lebewesen ganz allgemein partizipieren, allein beweisen lässt sich das nicht, im Leben zwar schon, im Labor aber nicht, jedenfalls nicht signifikant genug, aber was kann schon als real gelten, wenn man es nicht reproduzierbar anmessen kann? Bitteschön, wir leben in einer materiellen Welt, versuchen seit dem Großen Schisma der Wissenschaft der Prima Causa mit immer ausgefeilteren Apparaturen auf die Schliche zu kommen, eher vergebens möchte man meinen, aber Teilchenbeschleuniger haben sicher auch ihren Sinn, außerdem schaffen sie Arbeitsplätze für Leute, die auf dem Bau eher keinen Job kriegen würden, also was soll’s.

Ich selbst tauge weder in Teilchenbeschleunigern noch auf dem Bau, mein Sinn ist nicht offen ersichtlich, aber ich hätte Arbeit für einen Therapeuten, ich ticke nicht ganz richtig.

und frage mich immer noch wieso?
also nicht wegen dem Ticken, sondern weshalb ich entschied, einen Rückfall zu wagen. Mir hätte das bewusst sein müssen, und war’s mir ja auch mal, was das bedeuten würde.

und mein Gott! wie konnte ich das über zehn Jahre lang aushalten? ich meine, ich hab das über zehn Jahre lang betrieben, diese Quartalskifferei. von zwei mehrmonatigen Pausen abgesehen bin ich etwa alle acht Wochen los, um eine Woche dicht zu sein, manchmal auch zwei. Weil ich mein Leben (Arbeit & Ehe) so weder ertragen konnte noch wollte. Nach spätestens zwei Wochen konnte ich dann das Dicht-sein nicht mehr ertragen. Also drei Tage Craving, und das ganze Spiel von vorn.

Warum habe ich mir das angetan?
Um einen Job zu haben? Eine Frau?
what’s wrong with me?

so aus dieser scheinbaren Distanz des Nüchtern-Werdens:
da stimmt etwas grundlegendes nicht mit mir.

vermutlich essentiell dysfunktionale Strategien zur Lösung des Grundkonfliktes zwischen Abhängigkeit (sic!) und Individuation.

und ich werd’s nicht lösen können. ich will nicht. ich wollte schon immer beides. Sozialisation, Karma, fragwürdige Vorbilder? ich weiß es nicht.
ich weiß nur, dass ich nie mehr versuchen will, das Ding mit Drogen auszubalancieren.

ich will Gedichte auf Mauern sehen, nicht Mauern auf meiner Stirn.

Resilienz

Jetzt & Hier 16. August 2020

in Nächten wie dieser denke ich nicht, dass es Resilienz gibt, vielleicht ist das nur ein Neuwort für Ignoranz.

es ist still. nur mein Kühlschrank brummt, in der Ferne Autos, Partyjugend auf dem Weg nach Irgendwo. 

Warum bin ich damals nicht bei einem Unfall gestorben? Gelegenheiten gab es mehr als genug, es hätte alles so einfach enden können. Stattdessen sitze ich jetzt mit dem Rücken an der Tür, und versuche mit dummer Leibhaftigkeit Gedanken am Eindringen zu hindern, es ist kalt.

In Wirklichkeit ist es natürlich nicht kalt, nur mir ist kalt. Posttoxisches… Alleinsein?

Vorhin, im Bett, hatte ich das Gefühl weicher, warmer Lippen auf den meinen. und eine warme Hand auf meinem Bauch.

was sich so schön nach Liebe und Geborgenheit anfühlt, hat nur einen nicht ganz unwesentlichen Haken:

es ist niemand da!

nur diese Tür. und unschöne Gedanken davor, die mit den Zähnen fletschen.

insane in da brain

Jetzt & Hier 14. August 2020

das ist kein Leben, das sind Schmerzen, alles tut weh, und es ist nichts mehr da.
in drei Anläufen brauche ich Stunden um aufzustehen, welcher Tag ist heute?
es fühlt sich so nach Samstag an, aber es ist Freitag. Glaube ich. Und das geht seit einer Woche schon so! verrauchtes Leben, wer bin ich? eigentlich?

und was sollte das?

der Gedanke, das Rauchen zu beenden wie ich’s begonnen hatte, ist nicht neu, das ist uralt und hatte bisher nicht funktioniert, warum sollte es das jetzt?
mir ist speiübel. und es ist nichts mehr da.
es kostet mich Überwindung, und zwar jede Menge davon, überhaupt wach zu bleiben, schlafen wäre so viel einfacher.

wozu nur? frage ich mich.
es war nicht so, dass ich das Gefühl gehabt hätte, es zu brauchen, und ich wollte es auch gar nicht.
Trotzdem bin ich vor 6 Tagen einen Umweg gefahren.
und stehe in einer aufgeräumten Bude! mein Gott, wer bin ich überhaupt?
andere zocken oder unternehmen was, wenn sie drauf sind. und ich? ich putze und räume auf! was stimmt nicht mit mir?

und es ist nichts mehr da, das kotzt mich am meisten an, das Craving. mehr noch als alle anderen.
und ich frage mich: worum geht’s eigentlich wirklich? Sex? Liebe? Beziehung? Kunst? Kiffen?

alles was ich verspüre ist ein riesengroßes
Bäh! Ekel, hauptsächlich vor mir selbst. ich bin unglaublich fett und vollgefressen, verschwitzt und träge. gerade noch wachsam genug, um hinter diesen Feststellungen wieder den alten Selbsthass entdecken zu können.
Aber ich will mich nicht umbringen, I beg your Pardon, ernsthaft jetzt. Also scheiß auf den Selbsthass.

Immer noch schmeckt alles nach Gras, widerwärtig. und es ist nichts mehr da, noch widerwärtiger, zum Glück. also, das nichts mehr da ist, verdammte Scheiße.

schön wäre es, wenn jemand bei mir wäre, aber dazu müsste ich wohl erst mal selbst bei mir sein, bäh!

seltsam ist: früher konnte ich nicht mehr schlafen, wenn nichts mehr da war, jetzt könnte ich nur noch schlafen. was ich wohl auch tun werde. 

Vielleicht begrüßt mich morgen ein freundlicherer Tag…